FAZ, 21.04.2023, Immobilien, Seite 21
Deutsche Hausverwalter haben ein Grundsatzproblem. Denn das Erste, was sie lernen, ist, dass der Mieter der Feind des Objekts ist und damit auch des Verwalters. Er wohne das Gebäude ab, stelle Anforderungen, fordere Ausbesserungsarbeiten, kürze die Miete, sprich: Ein Mieter bedeutet Aufwand. Diese negative Einstellung führt in der Folge zu einer nicht wertschätzenden Behandlung der Mieter. Oftmals zu beobachten: Die schlechtesten Verwaltungsleistungen werden dort erbracht, wo sie eigentlich am dringendsten optimiert werden müssten – nämlich dort, wo Objekte in einem schlechten Zustand sind und Leerstand droht. Denn viele Immobilieneigentümer und Wohnungsverwalter stellen den kurzfristigen Cashflow aus der Immobilie über die langfristige Zufriedenheit der Mieter. Mit fatalen Folgen: Eine hohe Fluktuation, Leerstand und Nachvermietungskosten schmälern den Investmenterfolg bedeutend. Wo eine gute Lage noch einiges wettmacht, leiden insbesondere Nebenlagen unter diesen Umständen und werden so zum Risiko für die erhoffte Rendite.
Was vielen nicht bewusst ist: Zugewandtheit durch einen persönlichen Kontakt und ein respektvoller Umgang mit Mietern sind ein wichtiger Baustein für ein faires und erfolgreiches Immobilieninvestment. Und wenn man den Mieter als Partner ansieht und seinem menschlichen Bedürfnis Beachtung schenkt, indem dieser sich in seinen vier Wänden wohlfühlen soll, verhält sich der Mieter ganz anders und zieht vor allem nicht aus. Das bedeutet, gemeinsam mit Mietern können nachhaltige und rentable Immobilienwerte geschaffen werden. Und dazu tragen nicht nur ein vernünftiger Wohnraum und ein angenehmes Umfeld bei, sondern insbesondere das, was für viele Immobilienmanager leider ein Fremdwort zu sein scheint: Empathie. Das ist auch ökonomisch sinnvoll: Eine geringere Fluktuation und niedrigere Leerstände sorgen für den laufenden Cashflow und sind entscheidend für die Wertentwicklung eines Objekts oder Portfolios. Aber gerade das Zwischenmenschliche kommt oftmals zu kurz, beispielsweise wenn die zunehmende Digitalisierung in der Mieterkommunikation falsch eingesetzt wird.
Der persönliche Kontakt zu den Mietern, Verständnis und Wertschätzung lassen sich nicht wegdigitalisieren. Denn digitale Lösungen besitzen nicht die Fähigkeit zur Konfliktlösung, sondern können unter Umständen Spannungen sogar verschärfen. Je mehr man mit dem Herzen dabei ist, Lösungen für Mieter und Vermieter zu finden, desto mehr können Mieter Entscheidungen mitgehen. Oft mündet das in einer deutlich pfleglicheren Behandlung der Wohnumgebung und geringerer Fluktuation.
Binnen Sekunden schreiben Chatbots Texte, Kommentare oder sogar Stellenausschreibungen. Prozesse können deutlich beschleunigt werden – aber das heißt nicht zwangsweise, dass das Ergebnis dadurch besser wird. Künstliche Intelligenz, wie ChatGPT, kann in Sekunden eine Mieteranfrage beantworten, allerdings generisch und unempathisch. Sie kann sich nicht in einen Menschen hineinversetzen. Sie kann etwa als Unterstützung für wiederkehrende Aufgaben und für Analysen dienen. Repetitive Verwaltungsaufgaben können damit der Vergangenheit angehören, auch die bloße Übermittlung von Informationen kann so vereinfacht werden. Die Potentiale und Anwendungsmöglichkeiten sind nahezu unbegrenzt.
Ersetzen kann Technologie den Menschen indes nicht, nur den Handlungsspielraum für die „echte“, also menschliche Kommunikation erweitern. Wenn ein Mieter zum Beispiel ein Haustier halten möchte, ist das ein hochemotionales Thema. Ist das in der Immobilie nicht möglich, so muss das dem Mieter nicht sachlich, sondern emotional erklärt werden. Fühlt er sich unverstanden, wird sich dies in der Behandlung des Wohnraums und in der Mietdauer niederschlagen. Es ist nur eines von tausend Beispielen, die zeigen, dass das persönliche Gespräch – die zwischenmenschliche Interaktion – keinesfalls den Chatbots und Computerprogrammen überlassen werden sollte.
Wer trotzdem digitale Technologien in der Mieterkommunikation einsetzen will, der muss folgende Grundvoraussetzung beachten: Man muss Verantwortung übernehmen. Das gilt für Immobilieneigentümer genauso wie für Asset-Manager und Hausverwalter, und zwar den Mietern gegenüber und auch den Mitarbeitern, damit diese vernünftige Arbeit leisten können. Denn ob eine Mieteranfrage am Telefon, per Chatbot, Mail oder Brief ignoriert oder abgeblockt wird, ist am Ende egal. So hat Digitalisierung dort ihren Sinn, wo sie Menschen nutzt und Verwalter entlastet, um Freiräume zu schaffen, die den persönlichen Kontakt zu den Mietern (wieder) ermöglichen. Wer aber versucht, durch Digitalisierung den Mieterkontakt und die damit einhergehenden Konflikte zu meiden, der digitalisiert sich in die Verlustzone.
Es gibt also viel Aufholpotential, lebenswerte Immobilien zu schaffen. Wohnen ist nun einmal emotional. Und es gibt nur eine Lösung, um Mieterfluktuation und Unzufriedenheit in den Griff zu bekommen: Wir müssen den Menschen (wieder) in den Mittelpunkt stellen. Es ist wichtig, für den Mieter da zu sein – persönlich – und zu reagieren, wenn es Probleme gibt. Es braucht vor allem Akteure, die soziale Verantwortung übernehmen und die das Potential erkennen, dass man durch mehr Menschlichkeit auch die Rentabilität von Immobilieninvestments steigert. Effizienzgewinne, die man durch zunehmende Digitalisierung erhält, sollten nicht in der Kommunikation mit den Mietern selbst gesucht werden. Das führt zu einer fortschreitenden Entmenschlichung und schafft Unzufriedenheit. Technologien sollten vielmehr dafür genutzt werden, den Mitarbeitern mehr Freiraum für einen menschlichen Umgang mit Mietern, Dienstleistern, Kollegen und sonstigen Partnern zu schaffen. Das steigert die Zufriedenheit und führt nicht nur bei Mietern zu einer geringeren Fluktuation, sondern auch bei Mitarbeitern, was angesichts des aktuellen Fachkräftemangels ein wichtiger Aspekt ist.
Benjamin Spieler ist Geschäftsführer der SIM Gruppe, Jena.
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